Als damals junger Mensch, Jahrgang 1922 hatte ich als Angehöriger der Kriegmarine (Matrosen ObGefr.d.Res. - Dienststellung Signalgast) 1944 leider viel von dem Ernst des Krieges erfahren. Ich fuhr auf einer Art Kümo, die Oerlikon 4 Flak war abgebaut. Wir haben nur Transporte durchgeführt.

Gestattet mir, dass ich in meinen Ausführungen das Schlachtschiff immer nur als „Tirpitz“ bezeichne. Der Name beruht auf dem Großadmiral Alfred von Tirpitz (1.Weltkrieg).

Der Schauplatz dieses Dramas liegt in Nordnorwegen November 1944 in der Nähe der Stadt Tromsø.
Ich hatte mir damals einige Notizen gemacht, die mir Gott sei dank in der nachher so turbulenten Zeit nicht abhanden gekommen sind.
Einige Daten möchte ich zum Verständnis der Größe der Tirpitz nicht unerwähnt lassen. Das Schiff hatte 53.000 BRT und eine Besatzung von 2.500 Mann. Die Geschütze der Drillingstürme hatten das Kaliber (Rohrdurchmesser) 38 cm, die Maschinen 138.000 PS. Länge 253 m, Breite 36 m, Tiefgang 10,55 m.

Das Schlachtschiff war den Briten schon lange ein Dorn im Auge gewesen. Bevor das Schiff nach Tromsø verlegt wurde, war es im Alta Fjord, hoch oben im Land stationiert. Es hat dort vor allem Geleitzüge nach dem Hafen Murmansk durch seine weitreichende Artillerie gefährdet. Mehrmals versuchten daher die Gegner die Tirpitz durch Luftangriffe und durch Angriffe mit Kleinst-U-Booten unschädlich zu machen. Die angerichteten Schäden waren zwar erheblich, konnten aber an Ort und Stelle notdürftig behoben werden.

Nach der Kriegserklärung Finnlands an Deutschland musste Nordnorwegen geräumt werden und auch die Verlegung der Tirpitz etwas nach Süden war nötig. Nahe einer kleinen Insel Haakøy westlich von Tromsø sollte die Tirpitz ein Stützpunkt für die gesamte Abwehr eines etwaigen russischen Angriffs über das menschenleere und zerstörte Gebiet werden. In dieser Zeit war ich auf einer kleinen  Transporteinheit der Kriegsmarine in Harstadt stationiert, dann wurden wir nach einen Liegeplatz im Süden der Insel Tromsø verlegt. Hier wurden wir dann als Seekabelleger der Tirpitz zur Verfügung gestellt. Durch die von unseren Fachleuten verlegten Seekabel sollte die Tirpitz mit den Flakstellungen auf den kleinen umliegenden Inseln verbunden werden.

Es bestand wegen der immer drohenden Luftangriffen ursprünglich der Plan, die unteren Räume der Tirpitz mit Beton auszufüllen und das Schiff an einer geeigneten Stelle auf Grund zu setzen.
Das Oberkommando konnte sich allerdings sich nicht zu dieser Maßnahme entschließen. Bei der Ausführung des ursprünglichen Planes mit dem Beton wäre es nicht zu der Katastrophe in dem nunmehr geschilderten Ausmaß gekommen.

Der erste große Angriff der Briten erfolgte am 22. Oktober 44, das Schiff wurde jedoch nicht getroffen und lediglich die Bombentrichter im Fels der kleinen Insel konnten eine Vorstellung von der Größe der verwendeten Bomben vermitteln. Erst später erfuhr ich, dass die Bomben ein Gewicht von 4 Tonnen hatten.

Am Tag des 1. Angriffs waren wir gerade zur Tirpitz unterwegs, um wiederum ein neues Kabel zu verlegen. Wir konnten aber rechtzeitig beidrehen, sodass wir nicht in den Bereich des Bombardements gekommen waren. Es prasselten lediglich Flaksplitter auf unser Deck.

Am 12. November 1944, es war ein Sonntag bei schönen Wetter begannen plötzlich die 38 cm Geschütze der Tirpitz ziemlich flach in SO-Richtung zu schießen, wir maßen aber den Salven keine besondere Bedeutung bei. Als wir aber dann auch die englischen Bomber aus Richtung Schweden kommen sahen, die auch kurz darauf mit dem Ausklinken der Bomben begannen, waren wir auf den nächsten Angriff gefasst, ohne jedoch das bittere Ende zu ahnen.

Es waren insgesamt 40 Flugzeuge vom Typ Lancaster die ihre tödliche Fracht nach genauer Berechnung der ballistischen Kurven an derselben Stelle ausklinkten. 29 Bomben trafen das Ziel.

Die Bordflak und die Luftwaffen-Flak stationiert auf den Inseln begannen zu schießen, aber wir konnten keinen Treffer bei den Angreifern feststellen. Jagdflugzeuge der Luftwaffe von dem nahe gelegenen Flugplatz waren während des ganzen Angriffs nicht zu sehen.

Während der nun fallenden Bomben war plötzlich eine starke Detonation aus der Richtung Tirpitz zu hören. Das große Schiff konnten wir damals nicht einsehen, da wir an der Südspitze der Insel Tromsø lagen und die direkte Sicht durch Felsen behindert war. Wir konnten jedoch kurz darauf einen Rauchpilz sehen den man wohl mit einem kleinen Atompilz vergleichen könnte. Unsere Anfrage beim Hafenkommandanten würde dahingehend beantwortet, dass die Tirpitz einen schweren Treffer bekommen habe und dass alle verfügbaren Schiffe zur Hilfeleistung auslaufen sollten.

Als wir dann um die Südspitze der Insel herum fuhren, konnten wir von der Stelle aus, wo wir sonst immer den Koloss liegen sahen, nichts von dem Schiff sehen. Als wir aber näher an die kleine Insel heran kamen, konnten wir erst das ganze Ausmaß der Zerstörung erkennen. Der Rumpf des Schlachtschiffes hatte sich um 180° längs um die eigene Achse gedreht.
Vom Oberdeck war nichts zu sehen, die beiden riesigen Schrauben lagen oberhalb der Wasserfläche. Als wir dann in der Nähe des gekenterten Riesenschiff lagen, mussten wir feststellen, dass die ganze Wasseroberfläche mit dem ausgelaufenen Öl bedeckt war. Aus diesem Öl begannen wir, so gut uns das möglich war, einige unserer unglücklichen Kameraden zu bergen.

Es handelte sich meist um Matrosen, die durch die Wucht der Explosion von Deck geschleudert worden waren. Inzwischen hatte sich die Zahl der kleinen Boote aus Tromsø stark vermehrt und die schnellen Boote übernahmen dann die Kranken zum Weitertransport in die schnell improvisierten Notverbandsplätze.

Leider war für viele der aus dem Wasser Geborgenen eine Rettung nicht mehr möglich. Durch das  Eindringen des Dieselöls in die Lungen und auch z.T.durch die erlittenen Verletzungen waren diese nicht mehr am Leben.

Durch die kranken und toten Seeleute abgelenkt, dachten wir in diesem Moment nicht weiter. In dem stählernen Sarg waren noch etwa 900 bis 1.200 Mann (aus den Berichten haben sich verschiedene Zahlen ergeben) mit kaum Hoffnung auf Rettung eingeschlossen.
Es war uns vor allem nicht möglich, da irgendwie zu helfen. Später erfuhren wir, dass der Grund für das Kentern der Tirpitz zwei Treffer knapp an der Backbordseite waren, weitere Explosionen folgten. Das Munitionsdepot war getroffen worden.

Die Verluste waren immens. 1.200 Mann starben im stählernen Gefängnis, 860 retten sich während des Kenterns. Wie erst später bekannt wurde, konnten sich aus dem Inneren des Wrack nur 87 Mann retten. Alle kamen nur unter erheblichen Strapazen aus dem Rumpf. Sie fanden aus dem mit Wasser und Öl sich füllende Schiff durch Schottengänge und Schächte einen Ausweg. Erschwert wurde diesen Matrosen der Weg natürlich dadurch, dass im Wrack alles am Kopf stand und außerdem eine Notbeleuchtung nach der anderen ausfiel. Nach einigen Stunden, ich kann allerdings hier keine genauen Zeitangaben machen, waren Schweißtrupps vom Werkstattschiff am Werk. Sie mussten Löcher durch die Stahlwände, die z.T. 15 cm dick waren, schneiden. Auch so konnten Einige gerettet werden, allerdings wagten sich einige Retter zu weit in den Rumpf hinein und mussten auf Grund von Gasen und der begrenzten Arbeitszeit mit den Sauerstoffgeräten ihr Leben lassen.

Von allen Schiffen, die die ehemalige Tirpitz angelaufen waren, wurden Beiboote ausgesetzt, die ständig den sterbenden Riesen umkreisten, um eventuell noch auftauchenden Matrosen schnelle  Rettung zu bringen.
Im Inneren des Schiffes müssen sich wahnsinnige Dramen abgespielt haben. Deren Ausmaß wurde erst nach Jahren festgestellt, als das Wrack nach Kriegsende ausgeschlachtet wurde.

Ein norwegischer Widerstandskämpfer hatte bereits kurz nach Kriegsende den Plan gefasst das Wrack zu kaufen und die riesigen Stahlmengen und die elektrischen Anlagen dann als Schrott weiter zu verkaufen. Er kaufte das Wrack für 120.000 Kronen und machte damit wohl das beste, aber wohl grausigste Geschäft seines Lebens. Neben den großen Stahlmengen konnte er nämlich nach der Reinigung vom Öl viele der Geräte als gebrauchsfertig verkaufen. Das Öl hatte die Metallgegenstände vor dem Einfluss des Salzwassers geschützt.

Zwischen den am Kopf stehenden Anlagen des Schiffes fanden die Abwracker aber auch eine große Anzahl von Leichen. Die Gefallenen wurden damals von den norwegischen Behörden auf einem neu angelegten Friedhof auf der kleinen Insel beigesetzt.

Der Wehrmachtsbericht hatte damals nur lakonisch gemeldet, dass das Schlachtschiff Tirpitz versenkt worden sei, aber der Großteil der Besatzung sei gerettet worden. Es hat aber, wie vieles in den damaligen Wehrmachtsberichten nicht gestimmt.

Gerhard Steiner